Identitätenmanagement

1935 schrieb Walter Benjamin den Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“. Das Original, so Benjamin, besitzt eine Aura, die womöglich verlorengeht, wenn es zu häufig kopiert wird.

Manchmal frage ich mich bange, ob das auch auf Menschen zutreffen könnte, die in zu vielen Netzwerken im Web unterwegs sind. Aus Sicherheitsgründen oder weil es mehr Spaß macht, gibt man bei der Anmeldung zu Web-Diensten immer nur Schnipsel der wahren Identität preis, bei Kleinigkeiten, wie Alter, Geschlecht, o.ä. kann man ruhigen Gewissens schwindeln. Das Gesichtsbuch fragt dann aber bei vergeblichen Einlogversuchen nach dem Geburtsjahr. Dann muss man sich qualvoll an eine vor Zeiten abgegebene Falschinformation erinnern. Es gibt ja Theoretiker, die behaupten, dass Lügner intelligenter sein müssen als Wahrheitsfanatiker.

Wenn sich Politik in Internetangelegenheiten einmischt, ist häufig die Rede von PIN oder festen IP-Nummern schon bei der Einwahl: kein identitätsloses Herumspielen in anonymen Netzwerken mehr, am besten alle Daten vom Zahlungsverkehr über die Gesundheitskarte bis hin zum „intelligenten Energiezähler“ rundum erfassen. Je häufiger dieser Ruf nach mehr Kontrolle (euphemistisch „besseres Management“) seitens der staatlichen Institutionen laut wird, desto größer werden meine Bedenken („Wozu wollen die meine Daten?“) und mein Wunsch, jetzt erst recht meinen anonymen Status und meine multiplen Internetpersönlichkeiten aufrechtzuerhalten.