Eins vorweg: Ich schreibe selbst. Wer mit mir spricht weiß, dass ich lange nach Wortern ringe, die ich aus meinem tiefsten Erinnerungsfundus herausschöpfe. Damit könnte ich aufhören. Im Prinzip. Eine neue Software kann Texte von mir aufnehmen, z.B. aus meinem Blog, in ein mir zugeordnetes Archiv speichern und dann – mit Hilfe künstlicher Intelligenz – einen Blogbeitrag auswerfen, der von mir sein könnte. Artificial Intelligence – AIIIIIIAIIIIAIIII – Ich glaub ich werde das nicht machen, das ordne ich mal unter die Rubrik „Theater“ ein.
Wer mehr über ChatGPT wissen möchte schaue nach bei Wikipedia, hoffentlich von einem Menschen geschrieben …
Frauchen
Vor 50 Jahren wurde den amtlichen Dienststellen untersagt, die Anrede „Fräulein“ für unverheiratete Frauen zu verwenden. Bei einem Job im Architekturbüro hat es sich einer meiner Chefs bis in die neunziger Jahre nicht nehmen lassen, mich so zu titulieren. Ich habe irgendwann aufgehört, mich zu ärgern, habe mich einfach nicht angesprochen gefühlt und später gekündigt.
Soviel zum Thema „ist ja nur eine läppische sprachliche Nachlässigkeit“ – oder „Unkenntnis der rechtlichen Lage“. Einfache Tatsache war, dass der alte Mann meine Arbeit nicht wertgeschätzt hat. Wieder ein Beweis: Am Anfang war das Wort. Nur die Katze darf mich „Frauchen“ nennen. Zu einem Mann würde sie ja auch „Herrchen“ sagen.
Narrativ
Politik – wenn sie gut „rüberkommen“ soll, – braucht eine gut erdachte Erzählung. Dafür werden Kommunikationsberater mit Millionenaufträgen beschäftigt. Fragen Sie frühere Minister.
Medien haben dabei schon immer eine entscheidende Rolle gespielt, gedruckte Flugblätter aus der Zeit Gutenbergs sind dabei in Erinnerung. Eine Dokumentation im ZDF über die Qumran-Rollen stellte nun die These auf, dass selbst die Texte aus dem Alten Testament dazu gedient haben könnten, eine gemeinsame Identität der jüdischen Siedler herzustellen.
Schrift, gesprochene Sprache, Bilder – dient alles der Verständigung, oder? Theater?
Augen auf
Die Buchen machen machen mit ihren Zweigabbruchstellen für Menschen den Eindruck, als ob sie einen anschauen. Eine starke optische Augenimitation. Bei einem Spaziergang im Wald oder Park reagiere ich darauf leicht paranoid: Was tue ich für den Wald? Habe ich schon einen Baum gepflanzt? Verhalte ich mich umweltbewußt genug? Die Buche schaut mich an und sagt mir: „Du! Hey!“
Es hilft nichts. Einfach wegsehen und abhauen hilft nicht. Vielleicht ist Peak Anthropozän gekommen.
Wer ist Faschist?
Es ist schwierig: Keiner will mehr Faschist sein. Da hilft auch keine differenzierte Begriffsklärung in der Wikipedia. So lässt sich das Phänomen erklären, dass sich Menschen mit erkennbarer Vorliebe für rechtslastiges Gedankengut als Antifaschisten bezeichnen. Und als Beweis dafür das Zitat verwenden: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen ‚Ich bin der Faschismus.‘. Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus‘.“
Um weitere Verwirrung zu vermeiden, verwende ich das Wort Antifaschist nicht mehr. Sonst müsste ich jedesmal verzweifelt dazu aufrufen, sich nicht den Elefanten in meinem Raum vorzustellen.
Gespräch über Bäume
Vor 8o Jahren war das – laut Brecht – unangemessen, weil es nicht um die Untaten der Faschisten ging.
Aber was ist heute? Was stellt der Faschist in Brasilien mit dem Regenwald an? Wie geschützt die Bäume in unserem so demokratischen Gemeinwesen sind, sehen wir immer dann, wenn irgendwo Kohle ausgebaggert werden soll oder ganz dringend Autobahnen gebaut werden müssen. Ob sie „nützlich“ sind oder nur „nice to have“ – darüber müssen wir sprechen.
Alles ändert sich. Immer.
Rasender Stillstand
Im erzwungenen Homeoffice kommt es zu dem paradoxen Phänomen, dass umso mehr gelesen – und damit Information verarbeitet – wird, je weniger man sich bewegt und neue Eindrücke direkt wahrnimmt. Mediengestütztes Newsjunkietum wird so noch einmal gefördert.
Problem: Was ist mit den vielen so gewonnenen Neuigkeiten anzufangen? Filtern? Durchlaufen lassen und drüber lachen? Oder sich ärgern? Eine Internetgruppe gründen, die sich Nachrichten ausfiltert und darüber aufregt? Z.B. über Feiertagsregelungen zu Ostern?
Sorry. Zweistündige Fahrradtour an frischer Luft bringt andere Erkenntnisse: z.B. dass es hier in der Jungfernheide noch Spechte gibt. Find ich wichtiger.
Unpassende Bemerkungen
Jetzt muss ich – ganz widerwillig – ein Geständnis machen. Jetzt – wo dieser amerikanische Präsidentendarsteller nicht mehr auf der politischen Bühne steht – kann ich’s ja sagen: Ich habe die Performance des Herrn T. mit großem Interesse beobachtet. Ja, leider!
Er schien mir wie eine Personifikation des Luhmannschen Begriffs „Autopoiese“. Kernpunkt ist, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, ob das was du sagst stimmt. Es muss nur zu dem passen, was du vorher schon immer gesagt hast. Wichtig dabei ist auch, dass dir Leute zuhören und gegebenenfalls zustimmen.
Bezogen auf den o.g. Darsteller würde das bedeuten, dass er lügen konnte soviel er wollte. Im Zweifelfall konnte er sich auf sich selbst beziehen: „Ich bin ein Lügner, also darf ich das!“
Oder, wie Luhmann sagen würde: „Kommunikation ist unwahrscheinlich.“
Bildbetrachtung
Eben habe ich noch meine Verachtung für kunstvoll oder nachlässig produzierte Bilder kundgetan, da muss ich schon wieder zurückrudern. Selbstverständlich sind Bildmontagen zu Propagandazwecken Mist. Und dass am Anfang das Wort war, steht für mich außer Frage.
Aber nachhaltig erschüttert hat mich nun ein Dokumentarfilm über Dürer. Das Selbstbildnis im Pelzrock hat mich zum Hinschauen gezwungen und mich auch festgehalten. An Texten kann ich stundenlang klebenbleiben und weiterdenken, Bilder schaue ich meist an, denke „gut“ oder „schlecht“ und gehe dann sofort weiter.
War das jetzt ein Stück Wahrheit über den Maler Dürer?
Verblendungszusammenhang
Bei Problemen mit der Realitätswahrnehmung konzentriere ich mich nun wieder auf eine These von Theodor W(iesengrund!) Adorno aus der Dialektik der Aufklärung. Ist nämlich nicht so einfach, wie Hegel behauptet hat. Aufklärung soll aus der Befangenheit im Mythos befreien. In der Theorie.
Praktisch jedoch tendieren viele Aufklärer dazu, ihr Anliegen als destruktiven blinden Fortschritt ins Gegenteil zu treiben. Die gepriesene Globalisierung ist ein Beispiel dafür -> Ausbeutung, Umweltzerstörung, Klimaerwärmung. Das Unbehagen daran macht es zwielichtigen Politikern leicht, Anhänger zu sammeln und zu verführen.
Nach allem, was wir bisher beobachten konnten, tragen neue Medien ihren Teil zu dieser negativen Dialektik bei. Adorno war Pessimist.
Literatur mit Verfallsdatum
Dunkle Winterzeit ist Lesezeit. Grund genug, einmal alte Bücher aus der Studienzeit wieder hervorzukramen. Wiederlesen, was mich einmal beeindruckte. Dabei war auch Handke: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Ausführliche Reflexion beim Stillstand einer Rolltreppe in Prag.
Meine Gedanken im Jahr 1988: Interessant, aber etwas schwer verständlich. Was könnte der Autor damit gemeint haben?
Gedanken dazu im Jahr 2020: Was ein literarisches Schrottwichteln. Der Autor wurde seinerzeit überschätzt.
Es schreibt eben nicht jeder für die Ewigkeit. Und dir Prager Rolltreppen sind Spitze!
Aufribbeln
Dass Programmierarbeit mit Strickmustern verknüpft ist, habe ich schon erwähnt. Manche „Narrative“ erscheinen mir auch als kunstvoll komponierte Zopf- und Lochmuster, wie sie aus der Strickerei bekannt ist.
Umso mehr beschäftigt mich das „Aufribbeln“ dieser Kunststücke, da mir Vieles davon nicht einleuchtet. Manche Strategien gegen zusammengestrickte Narrative beschränken sich auf die Taktik: „Loch reinschneiden!“
Kann mich als geradlinige Strickerin nicht überzeugen. Ich nutze vorzugsweise das altmodische „Aufribbeln“. Und schaue nach, ob da Material dabei war, das ich auch gebrauchen kann. Nachhaltig eben.
Maulfaul
Vor ein paar Tagen konnte ich im Vorbeigehen eine Amsel hören, die das Tatüü-Tataa eines eben vorbeigefahrenen Krankenwagen nachahmte. Holla! Das klang fast echt, musste ich bewundernd feststellen.
Geräuschempfindliche wissen es längst. Laut geben, singen, sprechen – sich akustisch zu äußern scheint Merkmal alles Lebenden zu sein, selbst bei Bäumen konnten schon Geräuschsignale gemessen werden.
Quasselnde Menschen lassen einen manchmal an dem Bibelspruch zweifeln: Am Anfang war das Wort. Es gilt das gesprochene Wort, das war einer der ersten Sätze in meinem Seminar für Freiberufler. Aber bei Vielrednern vergisst man doch sofort wieder, was gesagt wurde. Was passiert mit den vielen unnütz gewordenen Wörtern? Lösen die sich in Luft auf? Oder begeben sich auf Reisen in die unendlichen Weiten des Weltalls? Und was ist mit den Wörtern, die jemand sagt, den ich nicht gehört habe? Gelten die auch für mich, die ich mich regelmäßig zwingen muss, Podcasts zu hören?
Viel wichtiger finden daher einige das geschriebene Wort. Also, das, was auch gelesen wird …
Verratene Realitäten
Nein, klar, dies ist keine Katze. Eine miese Kopie meines längst verstorbenen Katers „Boogie“. Ich frage mich auch, was meine Erinnerung an das Tier noch mit der damals gelebten Mensch-Tier-Relation zu tun hat.
Aber wenn es sich mit Bildern so verhält – wie ist es dann mit Texten? Realität angemessen nacherzählen? Journalisten haben damit vielleicht noch größere Schwierigkeiten als Lyriker, Poeten, Schriftsteller.
„Das Stellen der Schrift“ von Klaus Modick gibt schon im Titel den Hinweis darauf, das es beim Textschreiben ähnlich zugeht wie beim Einräumen einer Wohnung. Wände anstreichen, um eine bestimmte angenehme Atmosphäre zu erzeugen – oder nackter, kahler Beton? Sofa: weicher Stoff oder kühles Leder? Die reinste Horrorlektüre sind Autobiographien, meine hat sich im Lauf der Zeit schon ein paarmal geändert. Diese Woche erschien eine von (über?) Barak Obama.
Sturzflüge
So einiges solllte man noch tun. Ich rede jetzt gar nicht über reisen in Länder, die unbedingt noch besucht werden sollten. Es gibt da noch einige unentwickelte Ideen. Da müsste man doch noch weiterspinnen. Umsetzen auch. Schließlich will man etwas beweisen. Und eine Doktorarbeit darüber schreiben. Aber vielleicht hat schon jemand daran gedacht und geschrieben. Dann sieht es aus wie ein Plagiat.